Nachtleben

Ob sich Syed M. hier wohl eine Cola bestellt hätte? Freitagnacht, am hellblau illuminierten Tresen des »China Doll« im Pekinger Vergnügungsviertel San Li Tun, kommt mir im Gedröhne der lauten Diskobässe kurz jener Kollege in den Sinn, dessen Brieftasche ich neulich im Pressezentrum gefunden hatte. Außer seinen Visitenkarten (Syed M., Bangladesh Sangbad Sangstha) war so wenig Geld darin gewesen, dass man ihm am liebsten noch ein paar Yuan hineingelegt hätte. Noch als ich das gedacht hatte, war er neben mir aufgetaucht. Ein freundlicher Mann in Badelatschen: »Thank you, thank you Sir!«

Hier im »China Doll« wäre Syed M. wohl kaum über den Abend gekommen. Hier vergnügt sich nur, wer genügend Yuan im Portemonnaie hat. Ein Yanling-Bier kostet umgerechnet vier Euro, 20 Mal soviel wie im Supermarkt. Auch für Chinesen kaum erschwinglich. Weil derzeit vor allem ausländische Olympiastarter die Tanzfläche füllen, fließt der Alkohol dennoch reichlich. Das »China Doll« hat gerade erst eröffnet, im fünften Geschoss eines Einkaufszentrums. Dank der Spiele brummt es.

Wer an den Türstehern vorbei ist, hat's in die Beletage der olympischen Partyszene geschafft: Im verspiegelten Saal flirten Amerikaner mit Litauerinnen, fotografieren Japaner und Franzosen einander, zeigen Brasilianer jungen Pekingerinnen, wie man Samba tanzt. Ein wilder Völkermix. Jene, die hier feiern, haben den Olympiastart hinter sich, die Stimmung ist ausgelassen. Sehr ausgelassen. Wohl nicht falsch, dass unter den Athleten 100 000 Kondome verteilt wurden, denke ich bei mir.

Der Kreis der Gäste ist erlesen. Ein Schwätzchen mit einer norwegischen Bronzemedaillengewinnerin? Bitte sehr. Einem deutschen Turner zuprosten? Cheers! Doch die Prominenz hat auch Tücken. In meinen Small Talk mit einer Israelin, einer Stewardess von EL Al, hat sich forsch ein Schwimmer ihres Landes gedrängelt. Na hoppla. Ich frage ihn, was denn sein Verdienst bei Olympia sei? »Ich bin israelischen Rekord geschwommen.« Ja und? »Der ist jetzt besser als der deutsche«, lacht er, während er der Stewardess einen Pin seiner Mannschaft ans Revers heftet. Höchste Zeit für mich, loszugehen.

*

Der ND-Sportredakteur berichtet während der Olympischen Spiele aus Peking. Der Titel seines Tagebuchs »Ni Hao, Beijing« bedeutet »Guten Tag, Beijing«.

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